Bei einem Gespräch mit einem Kunden wurde mir vor Kurzem mitgeteilt, mein Preis sei nicht marktkonform. Ein weiterer Kunde entschied sich gegen mich, weil seine feste Übersetzungsagentur um einiges billiger war. Und auch bei einem Dritten wurde mein extrem knapp kalkuliertes Angebot abgelehnt. Letztlich haben dann aber doch zwei von den dreien meine Leistung in Anspruch genommen. Warum? Weil marktkonforme Preise beim Übersetzen nichts mit Qualität zu tun haben.
Übersetzungen kosten Geld
Bei Übersetzungen für Privatkunden werden zwei unterschiedliche Kalkulationsmethoden zugrunde gelegt:
- entweder pro Wort,
- oder pro Zeile (meist 55 oder auch 50 Anschläge, immer einschließlich Leerzeichen)
Meine Preise basieren immer auf der Wortzahl — Leerzeichen sind somit kostenlos! Die Grundlage für meine Kalkulation ist ein durchschnittlicher Stundensatz von 45 € brutto, mit geringen Abweichungen nach oben oder unten, da im Voraus schlecht eingeschätzt werden kann, wie lange man tatsächlich mit einem Text beschäftigt ist. Für einen Freiberufler mit Universitätsabschluss und über 15 Jahren Erfahrung mit technischen Übersetzungen erscheint mir das durchaus angemessen.
Zeit für Recherchen
Anders als vielfach angenommen ist ein Übersetzer kein wandelndes Wörterbuch und auch keine Enzyklopädie. Fast in jedem Satz kommen Wörter oder Passagen vor, die auch professionelle Übersetzer nachschlagen müssen, auch wenn es nur zur Sicherheit ist. Bei meinem Besuch beim ersten der oben genannten Kunden stellte sich schnell heraus, dass einige Übersetzer, die für „marktkonforme“ Agenturen arbeiten, es damit nicht so genau nehmen. Bei allen Texten, die meine Ansprechpartnerin von der Agentur erhalten hatte, war klar, dass die Übersetzer sich die dreisprachige Website des Unternehmens nicht angesehen hatten. Bei der Durchsicht meiner Testübersetzung fiel ihr mehrfach auf, dass ich mir offenbar die Zeit für Recherchen genommen hatte. Genau das unterscheidet einen guten Übersetzer von einem sog. marktkonformen Partner. Recherche erfordert natürlich Zeit: Die Testübersetzung von 300 Wörtern dauerte bei mir eine Stunde.
Bei marktkonformen Preisen ist Recherche keine Selbstverständlichkeit.
Vier-Augen-Prinzip
Darüber hinaus macht es einen Unterschied, ob eine Überprüfung inbegriffen ist oder nicht. Agenturen müssten Übersetzungen theoretisch immer mit Überprüfung anbieten — also nach dem Vier-Augen-Prinzip vorgehen. Freiberufler können selbst entscheiden. In der Praxis ist es allerdings oft umgekehrt: Die Agenturen mit marktkonformen Preisen legen auf eine Überprüfung wenig oder gar keinen Wert. Wer aber seinen Beruf liebt und ernst nimmt und mit Leidenschaft dabei ist, der weiß wie wichtig eine Überprüfung ist: Ein unbefangener Blick sorgt für den nötigen Feinschliff und absolute Spitzenqualität.
In manchen Fällen kann der Kunde die Überprüfung selbst erledigen, sofern er über die nötige Zeit und die Kapazitäten verfügt. Grundsätzlich arbeite ich aber lieber mit einem zweiten Übersetzer. Der Kunde kennt zwar die Terminologie am besten, vielleicht aber nicht alle Grammatik- und Rechtschreibregeln. Wenn ein zweiter Übersetzer mit den erforderlichen Fachkenntnissen den Ausgangstext mit der Übersetzung vergleicht, erhalten Sie garantiert eine einwandfreie Übersetzung, eventuell ergänzt um Anmerkungen, zu denen Sie dann selbst eine Entscheidung treffen können:
Ein Beispiel:
- Bei einer Überprüfung einer Broschüre, die ein Kollege für einen großen Mikrowellenhersteller übersetzt hatte, fiel mir auf, dass in ein und derselben Anleitung drei verschiedene Begriffe für den gleichen Sachverhalt verwendet worden waren. Der Kunde muss dann entscheiden, welcher Begriff verwendet werden soll, und meine Aufgabe ist es, die Entscheidung in Zukunft zu berücksichtigen.
Eine sorgfältige Überprüfung, bei der Ausgangs- und Zieltext durch einen zweiten Übersetzer nochmals miteinander verglichen werden, ist in einem marktkonformen Preis häufig nicht enthalten.
1 + 1 = 3
Nun könnte man glauben, dass Sie in diesem Fall für zwei Dienstleistungen bezahlen müssen: die Übersetzung und die Überprüfung. Das ist richtig, sofern Sie beides selbst organisieren. In der Regel möchte der Kunde aber einfach einen fertigen Text erhalten. Für die Organisation muss dann jemand anders sorgen, der natürlich ebenfalls für seine Arbeit bezahlt werden muss. Bei Agenturen erledigen das die Projektmanager. Sie koordinieren die Übersetzungsprojekte, und dafür fallen die sog. Overheadkosten an. Unter fairen Bedingungen müssten die Agenturen also mit Blick auf die Overheadkosten etwas teurer sein als Freiberufler. Leider ist das meist nicht der Fall. Die Preise sind oft so niedrig, dass sie unter Übersetzern gern als Bottom Feeders bezeichnet werden. Die Bezeichnung „marktkonform“ ist in diesen Fällen kaum noch angebracht. Bei solchen Preisen bleiben für die Subunternehmer — die Übersetzer — natürlich nur noch einige Krümel übrig, was dazu führt, dass viele professionelle Übersetzer nichts mit ihnen zu tun haben wollen. Deshalb arbeiten die Agenturen mit:
- unerfahrenen — oder einfach naiven — Übersetzern, denn genau wie ein Neuling auf dem Arbeitsmarkt nicht weiß, welchen Lohn er verlangen kann, erfahren auch Übersetzer in der Ausbildung nichts über die Preise. Sie gehen also davon aus, dass Übersetzungen für 0,06 €/Ausgangswort oder 0,8 €/Zeile ganz normal sind (daraus ergibt sich in etwa der Stundenlohn für eine Putzhilfe). Noch dazu wird ihnen weisgemacht, dass für Wiederholungen im Text nichts bezahlt zu werden braucht (den letzten Auftrag aus der Einleitung habe ich an eine Agentur verloren, von der ich weiß, dass Übersetzer nichts für Wiederholungen erhalten). Bei mir sind Wiederholungen nicht kostenlos, denn in diesem Fall kümmert sich der Übersetzer auch nicht darum, und das kann gravierende Folgen haben (*).
- Hobby-Übersetzern, die nicht von ihrer Arbeit leben müssen und für einen Apfel und ein Ei in ihrer Freizeit übersetzen. Sie sind natürlich auch nicht mit den Grundsätzen der Recherche vertraut.
- nicht spezialisierten Übersetzern; dabei hat einer meiner Direktkunden selbst erfahren müssen, was dabei herauskommt, wenn ein Übersetzer ohne technisches Fachwissen einen Produktkatalog übersetzt.
Kalkulation
Wenn ich nun für mich anhand meiner eigenen Erfahrungen kalkuliere, so kann ich guten Gewissens sagen, dass meine Preise wirklich realistisch sind — jedenfalls dann, wenn Sie Wert auf Qualität legen. Hochwertige Übersetzungen haben eben ihren Preis. Wenn Ihre Priorität eher bei den Kosten liegt, haben Sie die Wahl aus unzähligen Agenturen mit „marktkonformen„ Preisen, die sich augenblicklich gegenseitig unterbieten.
Wer weiß, dass ein Übersetzer im besten Fall etwa 2500–3000 Wörter pro Tag bewältigen kann (8 bis 10 Seiten), kann nicht davon ausgehen, dass ein Zeilenpreis von 0,80 € dafür angemessen ist, erst recht, wenn dafür eine Qualität erwartet wird, die sich für eine Veröffentlichung eignet.
(*) Textwiederholungen bedeuten nicht automatisch, dass keine Änderungen nötig sind. Mehr dazu in meinem Artikel „Nur ein kurzes Stück“.
Els Peleman
EP Übersetzungen
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