Der Titel der Konferenz – „ Neue Wege im digitalen Zeitalter “ – hat mich zunächst sehr skeptisch werden lassen. Mein erster Gedanke war „Nicht noch eine Konferenz, die maschinelle Übersetzungen in den Himmel lobt“, aber das Programm bot viel mehr als nur dieses Thema. Mit sieben Räumen, in denen Workshops und Diskussionsrunden stattfanden oder Vorträge gehalten wurden, gab es reichlich Auswahl über die maschinelle Übersetzung hinaus. Und dennoch muss ich im Nachhinein zugeben, dass gerade aus der Veranstaltung zur maschinellen Übersetzung am meisten bei mir haften geblieben ist.
Der Veranstaltungsort – das World Conference Center in Bonn – atmet Professionalität aus jeder Pore, oder, vielleicht besser gesagt, „deutsche Gründlichkeit“? Und diese zog sich durch das gesamte Programm. Im Plenarsaal wurden wir zunächst von dem sehr jovialen Gastgeber Simon Diez willkommen geheißen. Simon Diez ist nicht nur ein toller Moderator, sondern von Beruf auch Dolmetscher, wie mir ein deutscher Dolmetscher verriet, der mich spontan in ein Gespräch verwickelte. Damit war der Umgangston geklärt.
Anschließend war eine Rednerin der Europäischen Kommission an der Reihe. Sie erläuterte, wie das digitale Zeitalter die Angelegenheiten für sie erleichtert: Die Dolmetscher bekommen alle Infos digital weitergeleitet und auch die Planung übernimmt eine Software. Dieses Programm wiederum basiert auf der Software, mit der Flughäfen dafür sorgen, dass die Maschinen brav nacheinander starten und landen. Aber sie verschwieg auch nicht die Kehrseite der Medaille: Es sind nicht nur die älteren DolmetscherInnen, die mit der Digitalisierung nicht immer mithalten können. Auch die Zeiten, in denen die Dolmetscher wortwörtlich direkt neben den Ministern und anderen hochrangigen Herrschaften saßen, sind vorbei. Heute sitzen sie in ihren Kabinen, was zu mehr Distanz zwischen den beiden Gruppen führt.
Und dasselbe gilt für die direkten Mitarbeiter der Minister. Auch sie dürfen nicht mehr persönlich an den Sitzungen teilnehmen. Ihnen fehlen also gegebenenfalls entscheidende Informationen, weil sie nur zu hören bekommen, was die Minister ihnen berichten.
Am Freitagmorgen besuchte ich als erste Veranstaltung den Vortrag von Marion Rhodes, Spezialistin für SEO-Übersetzungen. Weil ich hierzu vor nicht allzu langer Zeit eine Schulung belegt hatte, war es für mich zum Teil eine Wiederholung. Aber sie hat mir auch zwei neue Erkenntnisse vermittelt:
In ihrem Kurzseminar zu Content Management Systemen für technische Autoren erläuterte Olga Dmitrieva, wie große Hersteller – ihr Beispiel war Liebherr – CMS für ihre gesamte Dokumentation (Bedienungsanleitungen, Website, Produktbroschüren, …) einsetzen und wie sie dabei dank eines solchen Content Management Systems bei Übersetzungen enorme Kosten einsparen.
Auch wenn meines Wissens nach (noch) keiner meiner Industrie-Kunden mit einem solchen System arbeitet, fand ich das Seminar sehr lehrreich. Diese Systeme sind die Zukunft und da kann ein Einblick in ein solches mit Sicherheit nicht schaden.
Olga erläuterte auch sehr verständlich, wie Übersetzungen über diese Systeme exportiert werden und was man als Übersetzer von seinen Kunden verlangen kann, wenn er nicht die richtigen Informationen mitliefert.
Technische Übersetzer ohne CAT-Tools können einpacken
Das Seminar „Das Terminologieproblem in der maschinellen Übersetzung“ war die Veranstaltung, aus der ich am meisten mitnehmen konnte und womit ich mich als Nächstes beschäftigen möchte. Und das nicht nur, weil der Seminarist, Daniel Zielinski, ein wahrer Entertainer war, er hat auch kein Blatt vor den Mund genommen:
„Es geht in diesem Seminar nur um Terminologie, nicht um Stil und andere MÜ-Fragen.“
Damit war klar, was man zu erwarten hatte.
Er verglich verschiedene, mit CAT-Tools kompatible, adaptive MÜ-Software – und da gibt es erstaunlich viele – hinsichtlich Kosten, Trainingsdauer, Sprachkombinationen, Vor- und Nachteile, möglicher Formate, der Erfahrungen in ihrem Pilotprojekt, …
Aber es waren die Grafiken, bei denen mir die Kinnlade heruntergeklappt ist. Und das meine ich wortwörtlich. Zu jeder adaptiven MÜ veranschaulichte er die Ergebnisse vor und nach dem Training in verschiedenen Fehlerkategorien (richtige Terminologie, richtige Schreibung, Synonyme, …) in Grafiken.
Und zum Abschluss verglich er alle Tools in zwei Grafiken mit dem generischen, nicht adaptiven DeepLPro. Da wurde mir dann endgültig klar, dass die Zukunft nicht DeepLPro heißt, sondern trainierte Systeme.
Hier möchte ich ganz ehrlich sein: Dieses Seminar hat meine Meinung zu MÜ grundlegend geändert. Ich habe erkannt, dass sie als Hilfsmittel unter bestimmten Bedingungen – Sprachkombinationen, Textsorte, Stammkunden mit großen Textmengen und sehr spezifischer Terminologie, … – sehr hilfreich sein kann.
Leider treffen diese Bedingungen auf die meisten meiner Kunden (noch) nicht zu, aber ich werde mich auf jeden Fall weiter damit beschäftigen und es auch mal ausprobieren.
„Jedes adaptives MÜ-Programm gibt nach Training circa. 95 % weniger Terminologiefehler.“
Daniel Zielinski – Loctimize
Nach diesem Seminar war ich mit einer Projektmanagerin einer Schweizer Übersetzungsagentur verabredet, für die ich regelmäßig arbeite. Bei dieser Agentur ist der Einsatz von MÜ streng untersagt, weil ihre Kunden ihnen verbieten, mit Cloudanwendungen zu arbeiten. Auf meine Frage, ob ihre Übersetzungsagentur unter der Konkurrenz durch maschinelle Übersetzungen zu leiden hätte, antwortete sie: „Eigentlich nicht. Die Diskussion rund um maschinelle Übersetzung versus Humanübersetzer basiert im Prinzip auf denselben Argumenten wie Laienübersetzer versus professionelle Übersetzer “. Das hat mich doch sehr hoffnungsvoll gestimmt. Es gibt sie also doch, die Agenturen, die MÜ nicht als Bedrohung sehen.
Natürlich durfte auch das leidige Thema der DSGVO nicht fehlen und wurde in drei Vorträgen behandelt:
John O Shea von FIT Europe machte klar, dass die Experten und die einzelnen Länder in verschiedenen Bereichen unterschiedlicher Meinung sind, was für viel Verwirrung sorgt. Deswegen ruft er alle Übersetzer und Dolmetscher dazu auf, an ihrer Umfrage „ GDPR survey for freelance translators and interpreters “ teilzunehmen.
Stefanie Bogaerts von Freeling präsentierte hierzu einige Beispiele, von denen mir eines ganz besonders in Erinnerung geblieben ist: Nehmen wir einmal an, Ihr Nachbar (seines Zeichens Automechaniker) bittet Sie um die Übersetzung seiner Scheidungsunterlagen. Er hat natürlich keine Ahnung von dieser ganzen Datenschutzgeschichte, wodurch Sie nicht nur der Datenverarbeiter , sondern auch der für die Datenverarbeitung Verantwortliche sind. Und Letzteres führt dazu, dass Sie eigentlich in der Pflicht stehen, seine Frau hiervon in Kenntnis zu setzen. Aber wo bleibt dann die Geheimhaltungspflicht?
Schlussfolgerung: Es wird noch einige Zeit verstreichen, bis Klarheit für unseren Beruf herrscht, zumindest für die Übersetzer und Dolmetscher, die bei der Ausführung ihrer Arbeit mit personenbezogenen Daten zu tun haben (über Dinge wie die Angaben für Rechnungen u. Ä. hinaus).
Für mich war dieser Vortrag besonders interessant, weil ich erstmals einen Dolmetscher bei der Arbeit erlebt habe: Der Vortrag wurde auf Englisch gehalten und wurde unter anderem von Franz Kubaczyk – laut Programmheft der einzige männliche Dolmetscher bei der ganzen Konferenz – verdolmetscht, und er hat es wirklich super gemacht!
Beim zweiten Vortrag ging es um die juristischen Aspekte von Online-Marketing, für mich eine Auffrischung bekannter Dinge: Man braucht für alles das Einverständnis. Und die Tatsache, das Daten im Impressum einer Website stehen, impliziert nicht das Einverständnis, dass diese verwendet werden dürfen.
Als letzter im DSGVO-Block kam Ahmet Yildirim zu Wort, seines Zeichens Dolmetscher und Anwalt mit türkischen Wurzeln. Er berichtete von „Stolperfallen“ der DSGVO. Schon die erste der von ihm aufgezählten Fallen führte nach seinem Vortrag zu einer regen Diskussion von mir mit einigen deutschen Übersetzern.
Wenn Sie mehr darüber erfahren möchten, empfehle ich den interaktiven Tag „ Van freelancevertaler naar vertaalbureau “, denn da werde ich ausführlicher auf das Thema eingehen.
Zwei andere Stolperfallen möchte ich aber sofort benennen:
Auch hierauf werde ich beim interaktiven Tag „Van freelancevertaler naar vertaalbureau“ ausführlicher eingehen.
Sie sind neugierig geworden? Sie arbeiten regelmäßig für Endkunden mit Kollegen zusammen und wohnen in Belgien oder den Niederlanden (bzw. sprechen Niederländisch und sind bereit, nach Belgien oder in die Niederlande zu fahren)? Dann sollten Sie sich auf jeden Fall anmelden (die Links zur Anmeldung finden Sie auf meiner Website)!
Zu guter Letzt habe ich mir noch die Produktpräsentationen von Acolada zu ihrer Wörterbuchplattform UniLex und der Terminologieplattform Velingua angehört. Eigentlich waren es sogar drei Präsentationen, aber weil diese Plattform leider kein zweisprachiges Wörterbuch Deutsch-Niederländisch und/oder Französisch-Niederländisch anbietet, hat sich die Präsentation zur manuellen Erfassung von Terminologie für mich nicht gelohnt.
Trotzdem fand ich es sehr spannend, von einer solchen Plattform zu erfahren, in der man über Abonnements viele verschiedene Onlinewörterbücher mit einem Knopfdruck (WebLookup in Trados und Websearch in MemoQ) abfragen kann.
Tipp: Es lassen sich auch einsprachige, erklärende Wörterbücher mit Abonnements einbinden (z. B. das Fachwörterbuch Elektrotechnik, das Wörterbuch der industriellen Technik oder Siemens Elektronik). Ich werde es in jedem Fall im Hinterkopf behalten, denn man weiß ja nie … Auch gut zu wissen: Velingua – zur Extraktion von Terminologie aus Dokumenten – erkennt den Genitiv , sieht diesen also nicht als neuen Term.
Aber leider haben sie Niederländisch (noch) nicht in ihrem Sprachenpaket , obwohl sie über 24 Sprachkombinationen mit Deutsch und/oder Englisch anbieten …
Es fanden auch viele spannende Workshops statt. Dafür musste man im Vorfeld jedoch sehr schnell sein, da sie rasch ausgebucht waren. Ich hätte zum Beispiel gerne den Workshop zu REGEX (Regular Expressions) belegt, aber der war schon voll belegt, als ich mich zur Konferenz angemeldet habe.
Tipp für die Organisatoren : Vielleicht könnte man sehr gefragte Workshops bei der nächsten Konferenz zweimal stattfinden lassen. Jetzt hoffe ich, dass dieser auch mal als Webinar angeboten wird.
Der BDÜ ist der deutsche Berufsverband der Dolmetscher und Übersetzer. Das machte diese Konferenz so außergewöhnlich vielseitig: Jeden Tag gab es auch Veranstaltungen für die Dolmetscher. Insbesondere am letzten Tag kamen sie voll auf ihre Kosten.
Noch ein Tipp für die nächste Auflage : Vielleicht könnte der BDÜ darüber nachdenken, auch Veranstaltungen für Lehrkräfte, Sprachtrainer und Untertitler anzubieten. Diese bilden vielleicht nicht die vorrangige Zielgruppe, aber nicht wenige Übersetzer/Dolmetscher bieten verschiedene Dienstleistungen an. So wie meine belgische Übersetzerkollegin Els Kennis ( Metatekst ), mit der ich mich auf der Konferenz verabredet hatte.
Ein riesiges Lob gebührt dem BDÜ für die tollen Netzwerkinitiativen! Die Organisatoren haben sich Mühe gegeben, Übersetzer auf ganz unterschiedliche Arten zusammenzubringen. Es gab beispielsweise ein Speeddating – davon habe ich leider zu spät erfahren –, aber auch in der Rheinlobby mit ihrer tollen Aussicht auf den Rhein gab es fast ständig die Möglichkeit für aktives Netzwerken.
An den Aufstellern auf den Tischen war zu erkennen, welche Spezialisierung die Menschen an den jeweiligen Tischen hatten. So war es zumindest gedacht, aber es waren nicht alle Spezialisierungen vertreten: Technik habe ich beispielsweise vergebens gesucht, dafür gab es „Erneuerbare Energien“ und „Patentwesen“. Eine Kollegin hat daher einfach selbst „Technik“ auf die Rückseite des Aufstellers auf ihrem Tisch geschrieben.
Ein weiterer kleiner Minuspunkt: Das Layout der Karte mit unserem Namen und unseren Arbeitssprachen war nicht gut durchdacht. Name und Sprachen waren viel zu klein aufgedruckt und das Lanyard war etwas zu lang. Mit dem aufgedruckten Küken outet sich die Kollegin Lea Schultze übrigens als Konferenzneuling.
Das Lanyard von Lea Schultze ( RurLingua )
Auch die Teilnehmer selbst haben vieles unternommen, um sich gegenseitig kennenzulernen: Dank Marian Pyritz wurde ich eingeladen, zusammen mit anderen Übersetzern mit der Sprachenkombination Niederländisch-Deutsch zum Mittagessen zu gehen. Auf diese Weise habe ich auf einen Schlag jede Menge neue ÜbersetzerInnen kennengelernt!
Aber auch zwischendurch, während der Kaffeepausen, fand sich eigentlich immer jemand zum Quatschen. Leider habe ich „meine“ Übersetzer für Deutsch-Französisch nicht finden können. Dafür habe ich sehr interessante KollegInnen für Französisch-Deutsch kennengelernt. Und wer weiß, vielleicht ergibt sich ja sogar eine Zusammenarbeit mit dem deutschen Kollegen, der auf der Suche nach einer neuen technischen ÜbersetzerIn für Niederländisch war!
Ja, ich darf mit Fug und Recht behaupten, dass es für mich eine besonders gelungene Konferenz war. Das schreit förmlich nach einer Wiederholung. Mein Dank gilt dem BDÜ für den reibungslosen Ablauf dieses Megaevents – denn mit über 1000 Teilnehmern darf man die Konferenz durchaus als solches bezeichnen.
Sie möchten noch mehr über die BDÜ-Konferenz lesen? Dann sollten Sie in jedem Fall beim Blog des Kollegen Thomas Baumgart vorbeischauen: Übersetzen und Dolmetschen 4.0: „Remove the fear factor“ .
Für noch mehr Eindrücke empfehle ich: #BDUeKonf19: Neue Wege von Marta Pagans (die auch auf dem Foto steht) und BDÜ Konferenz Nachlese
Dieser Blog wurde von Lea Schultze ( RurLingua ) aus dem Niederländischen ins Deutsche übersetzt.
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