Übersetzer*innen leisten viel mehr, als man denkt. Das eigentliche Übersetzen ist nur ein kleiner Teil der Arbeit. Vielen Außenstehenden ist nicht klar, dass die anderen Aspekte genauso wichtig, wenn nicht sogar ausschlaggebend für eine gute Übersetzung sind. Wie geht ein(e) professionelle(r) Übersetzer*in vor, wenn eine Anfrage eingeht?
Analysieren
Zuallererst wird das Ausgangsdokument gründlich in Augenschein genommen. Welches Format hat es?
Bei einer in Word konvertierten PDF-Datei muss geprüft werden, ob die Konvertierung qualitativ in Ordnung ist. Vor Kurzem lag mir ein Bericht zur Übersetzung aus dem Französischen ins Deutsche vor, in dem alle Akzente auf den französischen Wörtern verschwunden waren. Die konvertierte Datei war daher für die Übersetzung unbrauchbar.
Eine Excel-Datei mit Texten für Software-Menüs erfordert ein ganz anderes Vorgehen und vor allem andere Einstellungen als eine mehrsprachige Website-Datei im CSV-Format. Bei Software spielt die Zeichenzahl eine großen Rolle. Bei Website-Übersetzungen
müssen dagegen die HTML-Codes herausgefiltert werden.
Bei Powerpoint-Präsentationen ist zu prüfen, ob sie Notizen enthalten und ob diese ebenfalls zu übersetzen sind. Und wie sieht es eigentlich mit den Abbildungen aus? Sollen sie auch übersetzt und in einer separaten Word-Datei geliefert werden?
Aber auch bei einer gewöhnlichen Word-Datei gilt es einiges zu beachten:
- Enthält sie Abbildungen? Wenn ja: Sollen diese auch übersetzt werden (Übersetzung darunter in einer anderen Farbe)?
- Handelt es sich um eine Überarbeitung eines bestehenden Textes? Mit Übersetzungsprogrammen wie MemoQ oder Trados erkennen Übersetzer sofort, wie viel von einem Text tatsächlich neu ist.
- Ist farbig angegeben, welche Abschnitte zu übersetzen sind? In diesem Fall helfen Makros bei der Erstellung eines korrekten Kostenvoranschlags.
Wichtig ist dabei, dass es sich um vollständige Sätze handeln muss, also nicht wie bei dieser Anfrage, bei der die gelb markierten Wörter nicht übersetzt zu werden brauchten.
Kostenvoranschlag
Bei Indesign-Dateien im IDML
– oder INDD-Format kann gegen einen geringen Aufpreis ein Endcheck der übersetzten PDF-Datei angeboten werden. In meinen ausführlichen Kostenvoranschlägen sind alle Optionen genau aufgeführt. Sprechen Sie mich gerne an.
Übersetzen
Wenn der Kostenvoranschlag genehmigt wird, kann es losgehen. Professionelle Übersetzer*innen arbeiten in der Regel mit einem Übersetzungsprogramm. Mein Favorit ist MemoQ, da dieses Programm die meisten Möglichkeiten bietet und ich es am besten kenne. Trados funktioniert aber genauso gut, wenn der/die Übersetzer*in mit den Funktionen vertraut ist.
Wichtig zu wissen: Ein Übersetzungsprogramm übersetzt nicht, es sei denn, es ist ein Plug-in für automatisches Übersetzen aktiviert (z. B. die kostenpflichtige Version DeepLPro). Das Programm unterstützt den/die Übersetzer*in lediglich bei der Arbeit. Deshalb finde ich den englischen Begriff dafür passender: CAT-Tools, also Computer Aided Translation Tools.
Die Unterstützung besteht z. B. darin, dass fast alle Dateiformate verarbeitet werden können (auch XML, INDD, IDML usw.). Aber auch bestimmte Einstellungen sind sehr nützlich, etwa die Optionen, Notizen in PPT-Präsentationen zu übersetzen oder auszulassen, bei mehrsprachigen Excel-Dateien für die Übersetzung eine separate Spalte zu erstellen oder Zeichenbeschränkungen festzulegen. Die Möglichkeiten sind unbegrenzt.
Wenn auch Sie eine spezielle Frage oder ein Übersetzungsprojekt haben, erkundigen Sie sich gerne nach den Möglichkeiten. Dank regelmäßiger Schulungen bin ich ständig über alle Neuerungen in den Programmen informiert und finde so garantiert eine Lösung für Ihre Datei.
Ein weiterer wichtiger Vorteil solcher Programme besteht darin, dass Datenbanken wie IATE damit verknüpft werden können und – vielleicht das Allerwichtigste – dass sie mit QA-Check-Funktionen zur Qualitätssicherung beitragen. Geprüft werden kann z. B.:
- ob die festgelegte Zeichenzahl eingehalten wurde,
- ob alle HTML-Codes korrekt übernommen wurden, ob überflüssige Leerzeichen vorhanden sind, ob die Reihenfolge richtig ist,
- ob englische Zahlen in das Format der Zielsprache konvertiert wurden (Kommas zu Punkten und umgekehrt),
- usw.
Das sind nur einige Beispiele für die vielen Möglichkeiten, die aber für eine hochwertige Übersetzung unentbehrlich sind.
Durchsicht und Korrekturlesen
Wenn alles durchgesehen wurde, werden eine Rechtschreibprüfung und die QA-Prüfung mit den gewünscten Optionen durchgeführt.
Anschließend sollte die Übersetzung noch von einem/einer weiteren Übersetzer*in korrekturgelesen werden. Bei uns verlässt keine Übersetzung ohne externe Prüfung das Haus.
Ich bin nämlich felsenfest davon überzeugt, dass sich dieser zusätzliche Schritt mehr als bezahlt macht
. Vier Augen sehen immer mehr als zwei. Das gilt für kleine Unachtsamkeiten, die beim Übersetzen nicht aufgefallen sind, aber auch für das Feintuning, bei dem die Tüpfelchen auf die i-s gesetzt werden.
In meinen Gastvorträgen und Webinaren zum Thema Korrekturlesen drücke ich das oft so aus:
„ Wenn man eine Übersetzung selbst angefertigt hat, entwickelt man eine Art Betriebsblindheit. Man kann sich nur schwer davon lösen und den Text kritisch betrachten. Eine zweite Person kann anders und neutraler auf den Text blicken als man selbst.“
Nie vergessen werde ich einen Text mit einer Liste, in der mehrfach das Kriterium „höher als“ vorkam. Ein einziges Mal lautete das Kriterium „ist gleich“, und das hatte ich übersehen – im Gegensatz zum Überprüfer. Der Mehrwert wird an diesem Beispiel überdeutlich.
Finalisieren
Der/Die Überprüfer*in schickt seine/ihre Korrekturvorschläge an den/die Übersetzer*in und diese(r) entscheidet, ob sie gerechtfertigt sind oder nicht. Wenn es einen guten Grund gibt, den der/die Überprüfer*in vielleicht nicht bedacht hat, wird eine Änderung abgelehnt.
Das Vier-Augen-Prinzip hat außerdem den Vorteil, dass Übersetzer*in und Überprüfer*in sich über Probleme austauschen können. So entsteht meist eine bessere Übersetzung und lassen sich Unklarheiten und Fehler vermeiden.
Und das ist noch nicht alles. So fiel dem Überprüfer bei einer Neufassung eines Ausgangsdokuments über Wohnmobile auf, dass das Gas für den Antrieb des Fahrzeugs und das Gas zum Kochen im Deutschen beide als „Flüssiggas“ (LPG) bezeichnet werden, wodurch gefährliche Situationen entstehen können. Im gegenseitigen Austausch haben wir dafür eine Lösung gefunden.
Wenn alle Änderungen durchgearbeitet und angenommen bzw. abgelehnt worden sind, folgen noch einige Endchecks:
- eine letzte Rechtschreibprüfung
- eine Layout-Kontrolle
- Wurden – wenn erforderlich – alle Abbildungen übersetzt?
- Wurden alle Dokumente übersetzt?
Erst dann kann die Lieferung erfolgen.
Feedback
Bei vielen Texten ergeben sich Fragen oder der Ausgangstext enthält irreführende Passagen oder Fehler. Auf solche Dinge weise ich bei der Lieferung immer hin. So können Fragen und Unklarheiten vermieden werden, damit auch der Ausgangstext perfekt ist.
Nicht umsonst sagt man, dass der/die Übersetzer*in häufig der/die Erste ist, der einen Text sorgfältig liest. Wie wichtig das ist, zeigt sich an den Reaktionen meiner Kund*innen:
Vielen Dank für das aufmerksame Lesen!
Wie gut, dass du so sehr auf die Details achtest. Wir ändern das. Ganz herzlichen Dank.
Auch Sonderwünsche von Kund*innen sind für zukünftige Übersetzungen wichtig, wenn etwa Wortzusammensetzungen mit dem Firmennamen im Deutschen nicht mehr mit Bindestrich geschrieben werden sollen.
Wenn auch bei Ihnen solche Besonderheiten für Übersetzungen gelten oder ein(e) Vertreter*in, Kund*in oder Lieferant*in einen anderen Fachbegriff verwendet, lassen Sie es uns bitte wissen.
Denn was nicht bekannt ist, kann nicht berücksichtigt werden.
Denken Sie daran: Auch kleine Änderungen wie ein weggelassener Bindestrich bei zusammengesetzten Wörtern können dazu führen, dass der ganze Text überarbeitet und korrigiert werden muss. Anderenfalls entsteht ein Durcheinander, an dem sich manche Menschen (wie ich) stören.
Einige wichtige Tipps
Anlässlich einiger Erfahrungen aus der letzten Zeit hier noch ein paar wichtige Punkte, deren Bedeutung häufig unterschätzt wird:
- Die Grundlage für die Übersetzung sollte immer der ursprüngliche Ausgangstext sein
: Übersetzungen einer anderen Übersetzung führen fast immer zu Problemen. Auch bei Übersetzer*innen gibt es qualitative Unterschiede, und wenn in der ersten Übersetzung etwas nicht stimmt, zieht sich der Fehler durch alle anderen Sprachen.
- Liefern Sie den Text im bestmöglichen Dateiformat an
: Bei Indesign-Broschüren sollten idealerweise die IDML- und die PDF-Datei verfügbar sein. Bei Übersetzungen einer eingescannten PDF-Datei sollten Sie prüfen, ob nicht auch eine Word-Datei vorliegt. Das vereinfacht die Sache für den/die Übersetzer*in (und Sie sparen Geld).
- Lassen Sie ihren Text von einem/einer Muttersprachler*
in
durchsehen, z. B. einem/einer Kund*in oder Vertreter*in. So ist garantiert, dass die Qualität stimmt und keine maschinelle Übersetzung in Umlauf gelangt. Außerdem kann geprüft werden, ob die in der Übersetzung verwendete Terminologie mit den firmeneigenen Begriffen übereinstimmt.